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Corona-Virus infiziert Sprache

10.09.2020 | »Was heißt‘n Lockdaun (Lockdown)?«, fragt mein Nachbar über‘n Gartenzaun. Die Frage scheint ihm peinlich zu sein, aber es überwiegt seine Neugierde, was das Drum und Dran der Corona Epidemie angeht. »Ausgangssperre!«, antworte ich. Doch es ist nicht die einzige Erklärung, die er verlangt: »Hot-Spot« und »Homeoffice« und »Shutdown« und »Corona-Fake-News« und »loo roll Paper«! Das alles hätte er in der Schule nicht gehabt.

cartoon von manfred ende

Er las mir die Worte, etwas stotternd, von einem Spickzettel ab. »Sind halt Anglizismen. Die Sprache ist in ständigem Wandel, keiner spricht mehr wie Goethe, Sprache ist die Beihilfe zum Denken oder so ähnlich, habe ich irgendwo gelesen. Ich bemühe mich, seine Fragen in der gestellten Reihenfolge zu übersetzen: Brennpunkt - Heimbüro – herunterfahren – Falschmeldungen - Klopapier. »Ach was?!«, staunt mein Nachbar mit geflügeltem Loriot-Zitat. Er hätte bislang immer nur nach Klopapier gefragt. Seine kürzlich auf die Welt geratene Urenkelin hätten sie auf den Namen Corona getauft, was auch eine Biersorte ist, - ja, geht denn das? Ich beruhige ihn. Den Vornamen, genannt nach der heiligen Corona, der Märtyrerin und Schutzpatronin gegen Seuchen, gäbe es schon seit Jahrhunderten. Der Nachbar faltet seinen Spickzettel zusammen und wir schweigen eine Weile. Nur das Gezwitscher des seltenen Gartenrotschwanzes ist zu hören. »Was es alles gibt!«, durchbricht mein Nachbar die Stille, um dann seine wenigen, auswendig gelernten Englisch-Kenntnisse von sich zu geben: »I love you my friend.« Nun ist es an mir, die Lage peinlich zu finden.

 

Von: me

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